Das Beste aus zwei Welten

Auch meine vergangene Arbeitswoche war geprägt von der Auseinandersetzung mit der textilen Strategie der Europäischen Union.

Ich durfte Diskussionen zu diesem Thema bei zwei Veranstaltungen führen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die eine Veranstaltung war in der österreichischen Wirtschaftskammer (WKO), genauer in einer Ausschusssitzung des Fachverbandes Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie. In diesem Gremium diskutieren Vertreter der Industrie. Es sind Geschäftsführer und Eigentümer von Unternehmen, die im Zusammenhang mit den viel diskutierten Vorschlägen der Europäischen Union vor der Herausforderung stehen, ihre Unternehmen für eine Zukunft mit völlig neuen Rahmenbedingungen gut vorzubereiten und somit teilweise völlig neu aufzustellen.

Die zweite Veranstaltung war eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Eröffnung der Wiener MehrWeg Messe 2023. Die Teilnehmer der Diskussion waren ausgewählte Persönlichkeiten, die als Proponenten einer nachhaltigen Entwicklung unserer Branche bekannt sind. Auch die anwesenden ZuhörerInnen waren fast ausschließlich aus dieser „Bubble“.

Die diskutierten Standpunkte bei den beiden Veranstaltungen könnten unterschiedlicher nicht sein.

Für die Industrievertreter sind die Vorschläge der EU vereinfacht ausgedrückt, völlig überzogen, unrealistisch und nicht umsetzbar. Die Vorschläge würden die ohnehin schon schwer unter Druck stehende Industrie weiter schwächen und deren Umsetzung würde lediglich die Industrie in anderen Ländern begünstigen. Die Haltung der EU wird als gefährlich und teilweise absurd dargestellt. Die Sinnhaftigkeit von in Europa geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der weltweiten Emissionen wird stark infrage gestellt, weil Europa einen geringen Anteil an der Weltbevölkerung und auch einen geringen Anteil an den weltweiten Emissionen hat.

In der Nachhaltigkeitsszene wird im ersten Schritt diskutiert und kritisiert, dass die Strategiepapiere der Europäischen Union bis dato nur den Status eines Vorschlages haben. Sie seien demnach keineswegs bindend und vor allem wäre eine starke Abschwächung der geplanten Maßnahmen nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich. Und das, obwohl die geplanten Maßnahmen in dieser „Bubble“ als ganz und gar nicht ausreichend dargestellt und diskutiert werden.

Wie aber kommen wir in der Diskussion weiter?

SDGs der UNO und Europäischer Green Deal

Vor allem hilft es, die Hintergründe zu erklären, warum die EU sich mit der nachhaltigen Entwicklung unserer Branche auseinandersetzt, und welche Ziele dahinterstehen.
Da sind allem voran die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen die unter dem Titel 17 SDGs von der internationalen Staatengemeinschaft, also von uns allen im September 2015 im Hauptquartier der UNO in New York beschlossen wurden. Die UNO hat sich damit zum Ziel gesetzt, „extreme Armut zu beenden, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, den Klimawandel zu stoppen. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung sind wichtige, die Welt verändernde Ziele, für dessen Erreichung Regierungen, internationale Organisationen und Entscheidungsträger weltweit zusammenarbeiten“ Es lohnt sich, diese Ziele auch im Detail zu lesen, zu finden unter https://sdgs.un.org./goals.  

Und dann macht es auch Sinn, die Motivation hinter dem Green Deal der EU selbst zu verstehen, der im Dezember des Jahres 2019 vorgestellt wurde. Der Green Deal fokussiert sich auf den Klimawandel und die Umweltzerstörung als existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt, die EU will den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt, ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt und niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt. Wer die Ziele des EU Green Deals im Detail lesen möchte, informiert sich unter https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de.

Die Ängste auf beiden Seiten

Die Industrie bangt um ihr Profitabilität und sieht sich durch die drohenden Bestimmungen der EU in ihrer Existenz gefährdet. Sie hält die Forderungen für überzogen, weil viele der Forderungen auf der Annahme basieren, dass massive strukturelle Veränderungen aller Abläufe in der Lieferkette gefordert werden. Diese Veränderungen basieren auf der zukünftigen Entwicklung von Technologien, deren Entwicklung heute noch nicht absehbar ist. Die Industrie sieht sich aber vor allem durch die internationale, außereuropäische Konkurrenz bedroht, die in Umgehung der Vorgaben und unter weiterer und unveränderter Ausnutzung der menschlichen und natürlichen Ressourcen die Märkte beherrschen werde.

Die Ängste der Vertreter der Nachhaltigkeitsszene sind leicht erklärt. Sie fürchten die Fortführung der bisherigen Praxis unserer Branche mit allen bekannten verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur.

Mein Blick – und mögliche Lösungswege

Ich will Teil der Lösung sein – Probleme gibt es ja bereits genug. Mein wichtigster Ansatz besteht darin, Diskussionen zwischen Vertretern verschiedener Seiten zu initiieren und eine konstruktive Zusammenarbeit sicherzustellen.

Es ist mir ein Anliegen, eine umfassende Auseinandersetzung mit allen relevanten Themen zu fördern, da meiner Meinung nach sowohl die Nachhaltigkeitsbewegung als auch die Industrie derzeit in isolierten Denkblasen agieren. Auf beiden Seiten fehlt es meiner Ansicht nach an ausreichendem Lösungsdenken. Insbesondere beobachte ich, dass die Nachhaltigkeitsszene zu wenige wirtschaftlich tragfähige Konzepte entwickelt und sich zu wenig mit den konkreten Entwicklungen in der Industrie auseinandersetzt. Umgekehrt scheint die Industrie sich nach wie vor unzureichend mit den realen Auswirkungen ihres Handelns zu befassen.

Ein besonderes Augenmerk lege ich auf die Förderung von Technologieentwicklung, da ich darin eine Schlüsselkomponente für nachhaltige Fortschritte sehe. Ebenso betrachte ich den digitalen Produktpass als vielversprechende Möglichkeit, Transparenz in Lieferketten zu schaffen. Dabei ist es jedoch entscheidend, dass die hinterlegten Informationen umfassend und valide sind, um die beabsichtigten Effekte zu erzielen.

An oberster Stelle steht für mich der Appell zur Eigenverantwortung. Ich verwende gerne das Zitat von William H.McRaven, einem amerikanischen Admiral vor der Abschlussklasse der University of Texas, im Jahr 2014: "If you want to change the world, start off by making your bed in the morning". (https://www.youtube.com/watch?v=esoQKkFQoIQ)
Es verdeutlicht, dass Veränderung auf individueller Ebene beginnt. Ich bin überzeugt, dass die Übernahme von Verantwortung auf persönlicher und organisatorischer Ebene der Schlüssel zu nachhaltigen Veränderungen ist.

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